Berlin, Juni

Von Klaus Wildenhahn

Nur dein Abend
schluckt in fremden Räumen
den Alltag im Kissen,
nur wenn der Abend dein ist.
Abgerissen das Dunkel,
gefallen mein trächtiger Kern
aus der steinernen Müde, Stadt.
Innen
die Insel
des Kindes erhärtet,
Kontur der Märchen wächst aus
dem Atem der Muschel.
Schlaf gebettet unter
Geruch von Harz –
Tropfen
vom kleinen Stamm
deiner Brust
nieder
in die Kammer fremder Kissen.

Aus „Abendbier in flacher Gegend“, 2015.

Nacht in der Emigration

Von Max Herrmann-Neiße

 

Nachts bin ich ganz allein im Weltenraum,
fern allen Freunden, die mich längst vergaßen.
Die sieben Stock, hoch über Londons Straßen:

Die Katze mir zu Füßen hat die Ruh
als ihr Gehäus. Die Frau an meiner Seite
schloß sich im Schlaf wie eine Blume zu,
ihr Atem nur gibt sanft mir das Geleite.

Da draußen sind die Sterne und der Mond
und werden unser Leben überdauern.
Nachtwandlerisch umschleicht mein Wunsch die Mauern,
dem Frieden fremd, der hinter ihnen wohnt.

Und alle Laute, die das Dunkel haucht,
verwandeln jäh sich in ein kurzes Schweigen.
Dann taumle ich benommen und verbraucht
ins Frühlicht, dessen Züge bleich sich zeigen.

Wehret den Anfängen

von Georg Kreisler

 

Als der große schwarze Bär

kam den Rhein geschwommen,

staunte ich nicht allzu sehr

und hab’s hingenommen.

 

Manche Leute schrien hurra,

doch die meisten waren

still und stumm und tralala,

wie seit vielen Jahren.

 

Zahm und zart und blind und taub

drehte man die Däumchen,

fiel zu Boden, wie das Laub

von den deutschen Bäumchen.

 

Auch der schwarze Bär war ganz

wohlgemut und heiter,

fraß nur rasch den kleinen Franz

und dann schwamm er weiter.

 

 

Als der schwarze Elefant

kam den Rhein geschwommen,

dachte ich: Wie interessant!

Und ich ließ ihn kommen.

 

Wieder sah man keinen Grund,

sich darum zu kümmern.

Alle hielten brav den Mund,

wollten nichts verschlimmern.

 

Und der schwarze Elefant

war entspannt und träge,

fraß den kleinen Ferdinand,

schwamm dann seiner Wege.

 

 

Als das schwarze Krokodil

kam den Rhein geschwommen,

da gefiel mir sein Profil

und ich rief: Willkommen!

 

Doch als es zum Fressen schritt,

diesmal Klein Gerlinde,

schrie das Volk: Jetzt Schluß damit!

Krokodil, verschwinde!

 

Und man schlug das Krokodil,

wollte es zerreißen,

doch das brachte nicht sehr viel.

Krokodile beißen.

 

Erst biß es den Hans ins Knie,

in den Kopf die Else,

und den Knut und die Sophie

biß es in die Hälse.

 

Dann verlor es jedes Maß,

tobte seine Wut aus,

und es fraß und fraß und fraß.

Ja, das ging nicht gut aus.

 

Aus dem Band „Zufällig in San Francisco. Unbeabsichtigte Gedichte“ von Georg Kreisler.

 

 

Dichter und Kämpfer

Von Erich Mühsam

 

Unrühmlich ist es, jung zu sterben.
Mein Tod wär sträflicher Verrat.
Ich bin der Freiheit ein Soldat
und muß ihr neue Kämpfer werben.

Und kann ich selbst die Schlacht nicht lenken,
seh selbst nicht mehr das bunte Jahr,
so soll doch meine Bundesschar
im Siege meines Rufs gedenken.

Drum will ich Mensch sein, um zu dichten,
will wecken, die voll Sehnsucht sind,
daß ich im Grab den Frieden find
des Schlafes nach erfüllten Pflichten.

Der Gesang der Vegetarier. Ein alkoholfreies Trinklied (Melodie »Immer langsam voran«)

Von Erich Mühsam

Wir essen Salat, ja wir essen Salat
Und essen Gemüse von früh bis spat.
Auch Früchte gehören zu unsrer Diät.
Was sonst noch wächst, wird alles verschmäht.
Wir essen Salat, ja wir essen Salat
Und essen Gemüse von früh bis spat.

Wir sonnen den Leib, ja wir sonnen den Leib,
Das ist unser einziger Zeitvertreib.
Doch manchmal spaddeln wir auch im Teich,
Das kräftigt den Körper und wäscht ihn zugleich
Wir sonnen den Leib und wir baden den Leib,
Das ist unser einziger Zeitvertreib.

Wir hassen das Fleisch, ja wir hassen das Fleisch
und die Milch und die Eier und lieben keusch.
Die Leichenfresser sind dumm und roh,
Das Schweinevieh – das ist ebenso.
Wir hassen das Fleisch, ja wir hassen das Fleisch
und die Milch und die Eier und lieben keusch.

Wir trinken keinen Sprit, nein wir trinken keinen Sprit,
Denn der wirkt verderblich auf das Gemüt.
Gemüse und Früchte sind flüssig genug,
Drum trinken wir nichts und sind doch sehr klug.
Wir trinken keinen Sprit, nein wir trinken keinen Sprit,
Denn der wirkt verderblich auf das Gemüt.

Wir rauchen nicht Taback, nein wir rauchen nicht Taback,
Das tut nur das scheussliche Sündenpack.
Wir setzen uns lieber auf das Gesäss
Und leben gesund und naturgemäss.
Wir rauchen nicht Taback, nein wir rauchen nicht Taback,
Das tut nur das scheussliche Sündenpack.

Wir essen Salat, ja wir essen Salat
Und essen Gemüse von früh bis spat.
Und schimpft ihr den Vegetarier einen Tropf,
So schmeissen wir euch eine Walnuss an den Kopf.
Wir essen Salat, ja wir essen Salat
Und essen Gemüse von früh bis spat.

Aus dem Band “Das seid ihr Hunde wert! Ein Lesebuch” von Erich Mühsam, herausgegeben von Manja Präkels und Markus Liske

Das dritte Lager, das dritte Bier, die dritte Republik

Von Markus Binder

 

Hofer ist der Posterboy der Kleinbürger

Sein Garten sauber wie sein Hemd

 

Sein Chef ein testosteronbetriebener Hysteriker

Vom Typ Peter Alexander

An dessen Seite ein Stichwortgeber

Reimt wie ein Schulanfänger

 

Sie bezeichnen sich frech

Und in dieser Hinsicht originell als

Erben von Kreisky

 

Erinnern wir uns kurz an Kreisky

Der mithilfe des Sturmscharkommandanten Peter

Kanzler wurde damals

 

Etliche Minister

Des sogenannten Sonnenkönigs

Waren schwere Ehemalige

 

Falls sie das nicht wussten

Lernen sie Geschichte

(Zitat Kreisky)

 

Das aktuelle Wahlergebnis wäre

Würden nur Frauen wählen

Bei weitem nicht so brutal ausgefallen

 

Helfen könnte offensichtlich

Den Männern endlich mal

Das Wählen zu verbieten

 

Mit Weihwasser und Energydrinks oder Alkohol

Saufen sie sich die Heimat wieder schön

Wir können wieder wandern gehn

 

Und falls uns etwas zustößt

Können wir immer noch schreien:

Die Flüchtlinge die Flüchtlinge

 

Fremde werden keine mehr genommen

Die Fremdenzimmer stehen leer

Fremd bleiben die Fremden

 

Das Gepflegte liegt den Österreichern

Sie pflegen seine Verteidigung

 

Das Verteidigungsbudget

Für Heimatpflege wird massiv erhöht werden

Wenn der Hofer mit seinem Stock das Pferd

Auf dem schon der ahnungslose Waldheim saß

Wieder auf Trab bringen wird

 

Die Sanktionen werden sie

Wie immer ungerecht finden

So wie beim letzten Mal

Eine internationale Verschwörung vermuten

 

Und so wie jeder Geisterfahrer

Alle anderen für Geisterfahrer halten

 

Sicher im Sattel

Gestärkt durch der einheimischen Männer

Gemüt Vorwärtsgaloppieren

 

Die Interessen der kleinen Leute vertreten

Die kleinen Leute haben anscheinend

keine Angst vor ihnen

Wo sie doch sonst vor allem Angst haben

 

Die internationale Verschwörung wird Hofer

Den Diesel für sein Dienstfahrzeug boykottieren

Er wird am Straßenrand stehen und

Die ganze weite Welt verfluchen

 

Doch junge kräftige Burschen

Gestärkt mit Bier und Alkopops

Werden kommen und ihn anschieben

Ins Zentrum der Macht

 

Wo sein aufgeputschter Chef

Sich schon positioniert hat

Peitschenschwingend

 

Dass den immer noch Dahinregierenden

Die Luft wegbleibt

Sie staunen über das was hier passiert

Wie konnte das geschehen

 

Wie konnten wir uns so verwählen

Bei unseren Exwählerinnen und Exwählern

 

Wo wir uns doch immer so gewählt

ausgedrückt haben

 

Warum habt ihr uns verlassen

Wir verstehen es nicht

Versteht ihr es?

 

Der Chef vom Hofer sagt

Wir sind die neue Mitte

Diese neue Mitte aber befindet sich so nah

am Abgrund

Dass einem schwindlig wird

 

Die neue Mitte

Gibt sich neutral

Sieht rundherum nur das Böse

Und ist selbst dessen Quelle

 

Wer zur neuen Mitte gehören will

Braucht jetzt eine Patriotennationenfahne

Und eine kräftige Stimme um mitgrölen zu können

 

Die neue Mitte zieht klare Grenzen gegen alle

Ist aber so wie alle Borderliner jederzeit

in der Lage

Jegliche Grenze zu überschreiten

 

Der Boulevard nicht zu übersehen

Heizt die Stimmung auf

Hauptsache Krach

Den lautesten Krach machen

Die Krachmacher vom dritten Lager

 

Die Regierung macht keinen Krach

Machen Beamte nicht

 

Beamte müssen brav bleiben

Haben was zu verlieren

Street credibility

 

Working class heroes going Ibiza

Jetzt billig bei Hofer – Reisen

Billiger als Billa

Nichts ist billiger als der Hausverstand

 

Und die hoch dekorierten

Funktionäre der Arbeiterklasse

Stehen alleine da

Verlassen auf der Gasse

 

Die Entpolitisierungswelle hat sie erfasst

Politik ist jetzt nur mehr so wie Fußball

oder Internet

 

Hauptsache es passiert irgendwas

 

Wenn es fad wird einfach weiterklicken

Regierung stürzen

Auflage erhöhen

 

Der Boulevard treibt die Auserwählten vor sich her

Sie sind dem Boulevard hörig

Sie denken der Boulevard würde die Wählenden

Zu ihren Gunsten beeinflussen

 

Deshalb sind sie so freundlich zu ihm

Funktioniert aber nicht

 

Was sie versprechen

Die falschen Freunde vom Boulevard

Können sie nicht halten

Die Macht Sie können nur den Mund nicht halten

Wegen der Auflage

 

Wirtschaftsbelebung

Durch Steigerung des Waffenverkaufs

(Nur so. Für daheim)

Führt zu Steigerung von Gewalt

 

Die Angst geht vom Volk aus

Die Gewalt geht von den Bewaffneten aus

Hauptgegner ist die eigene Angst

 

So bedrohen die Leute sich selbst

Durch die Wahl von Volksverhetzern

Zu ihren Vorgesetzten

 

Die Rechten gehen vom Volk aus

Das sie abstimmen lassen

Über die Paranoia

 

Die sie ihm groß an die Wand gemalt haben

Da können sie nur gewinnen

 

Der politische Diskont hat wieder Erfolg

Minus 90 Prozent Verantwortung

Plus 90 Prozent Hysterisierung

 

Das dritte Lager

Das dritte Bier

Die dritte Republik

 

Sie nehmen in Kauf

 

Weltweit Nazis genannt zu werden

 

Wenn nur der Hund nicht überfahren wird

 

Und das Eigenheim ihr Eigentum bleibt

 

 

 

So eine Gesellschaft

 

So eine Gemeinschaft

 

So eine Gemeinheit

 

So eine Gelegenheit

 

 

 

Kommt immer wieder

 

Denkt sich das Volk

 

Ob es will oder nicht

 

 

 

Österreich

 

Du Opfer

 

Dir ist nicht zu helfen

 

 

 

(13.5.2016)

 

 Zuerst erschienen in Der Standard, 13.05.2016

 

 

 

 

 

 

Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen

Von Max Herrmann-Neiße

Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen,
die Heimat klang in meiner Melodie,
ihr Leben war in meinem Lied zu lesen,
das mit ihr welkte und mit ihr gedieh.

Die Heimat hat mir Treue nicht gehalten,
sie gab sich ganz den bösen Trieben hin,
so kann ich nur ihr Traumbild noch gestalten,
der ich ihr trotzdem treu geblieben bin.

In fremder Ferne mal ich ihre Züge
zärtlich gedenkend mir mit Worten nah,
die Abendgiebel und die Schwalbenflüge
und alles Glück, das einst mir dort geschah.

Doch hier wird niemand meine Verse lesen,
ist nichts, was meiner Seele Sprache spricht;
ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen,
jetzt ist mein Leben Spuk wie mein Gedicht.

Konzert für Kolibri und Kampfflugzeug (I)

Von Chaim Noll

 

Der Tag steigt auf in halbem Dämmern
fange ich Sätze ungeschriebne Träume
die Bilder blütenschwerer Bäume
und vom Gewölbe kommt wie Hämmern

Hall Widerhall und scharfes Krachen
der Kampf der Eulen mit den Krähen
um einen Platz zum Nisten Spähen
der Bülbüls liebestolles Lachen

Mein Wüstengarten glüht orange und gold
lackierte Vögel schwarz und blau
in kalter Morgenstunde Tau
sind still die Blüten eingerollt

Omer, 1999

 

Entnommen dem Band “Kolibri und Kampfflugzeug” von Chaim Noll.